300 Paar Schuhe und 400 Kleider reichen nicht (Teil 1)
Ein Beitrag zum Podcast "We need you" des Touriseums
von Peter Schroffenegger
Ich bin 1950 in Meran geboren und verbrachte die meiste Zeit meines Lebens hier. Als Kind hatte ich schwierige Zeiten, denn wir waren relativ arm. Meine Eltern legten großen Wert darauf, dass meine Schwester und ich eine Lehre begannen. Ich wurde zu einem Vorstellungsgespräch im Hotel Minerva in Meran eingeladen, bei dem mich meine Mutter begleitete und tatsächlich klappte es. Damals war ich erst 14 Jahre alt und ziemlich klein. Frau Honeck, die damalige Besitzerin des Hotels, sagte zu mir, dass ich mich hinter die Rezeption stellen sollte.
Ich hatte mich als Portierlehrling beworben und bekam eine Uniform, bestehend aus einer schwarzen Hose, einem blauen Anorak mit goldenen Knöpfen und einer Kappe. Sie stellte mich hinter die Rezeption und bemerkte, dass ich nicht darüber schauen konnte und daraufhin wurde für mich extra ein Holzpodium angefertigt. Anfangs dachte ich, dass ich aufgrund meiner Größe die Stelle nicht bekommen würde, jedoch sagte mir Frau Honeck dafür zu.
Hotel Minerva: Dort wo der Startpunkt meiner beruflichen Laufbahn begann
Ursprünglich strebte ich eine Karriere als Koch an. Mein Vater war der Ansicht, dass dies eine solide Position sei, da es immer Bedarf an Köchen gibt. Doch meine Mutter schlug vor, ich solle mit der Portierlehre beginnen. Am ersten Tag meiner Arbeit ereignete sich eine faszinierende Begebenheit zu. Ich hörte Stimmen aus dem Garten kommen und eilte dorthin. Zwei Damen betraten das Hotel. Es handelte sich um die berühmte Contessa Ferraguti und ihre Bekannte Contessa Brioschi aus Mailand, zwei Stammgäste. Ich öffnete ihr höflich die Tür sowie es früher üblich war. Für diese kleine Geste erhielt ich von ihr 500 Lire in Silber. Mein Lehrlingsgehalt im Monat betrug 1500 Lire. Vor Glück fühlte ich mich wie in einer anderen Welt versetzt.
Für die Contessa wurde ein roter Teppich ausgerollt
Jedes Jahr kam die Contessa Brioschi zu uns ins Hotel Minerva, stets in Begleitung von drei, vier Angestellten und ihren Freundinnen. Sie buchte normalerweise vier bis fünf Zimmer und bevorzugte den ersten Stock. Anfangs wurde ihr das Zimmer Nummer 17 zugewiesen, doch das entsprach nicht ihren Vorstellungen. Daher reservierten wir die Nummer 16 B für sie. Außerdem ließ sie jedes Jahr zwei bis drei Monate im Voraus die Zimmer renovieren. Wenn sie bemerkte, dass ihr das Badezimmer nicht mehr gefiel, wurde das gesamte Bad auf ihre Kosten komplett erneuert und verändert. Sie reiste mit zahlreichen großen Koffern an, kam mit ungefähr 300 Paar Schuhen und 400 Kleidern zu uns, weil sie immer drei bis vier Monate blieb. Bei ihrer Ankunft rollten wir den roten Teppich im Innenhof des Hotels aus und jeder Mitarbeiter musste dort Spalier stehen und sie begrüßen. Sie hatte jedem die Hand gegeben, auch dem Tellerwäscher und dem Hausmeister. In ihrer Zeit als Gast, hatte ich natürlich einen guten Bezug zu ihr. Meine Aufgabe war es Besorgungen zu machen. Als Portier-Lehrling war man sozusagen auch Kommissionär. Dieser war verantwortlich dafür, dass die Gästewünsche erfüllt wurden. Früher gaben die Gäste morgens an der Rezeption eine Liste mit ihren Anforderungen ab. Ich musste Besorgungen machen und Sachen abholen. Ich brachte ihr jeden Tag den "Corriere della Sera" und andere Zeitungen ins Zimmer. Sie hatte immer „Baci Perugina“ bereitstehen und mir davon welche abgegeben.
Im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr bat mich die Contessa um einen besonderen Gefallen. Sie suchte nach einer Haushälterin für ihr riesiges 500 – 600 m2 großes Haus in Mailand. Unter den Hotelmitarbeitern sollte ich nach einer geeigneten Person suchen. Ich sprach eine Kollegin aus dem Passeiertal an, die als Stubenmädchen bei uns arbeitete. Sie hatte eine Tochter, die daran interessiert war Italienisch zu lernen. Die Vermittlung war erfolgreich und die Tochter blieb über 10 Jahre in Mailand.
Der Weg geht nach Mailand
Die Contessa lud mich sogar eine Woche lang nach Mailand in ihr Haus ein. Meine Eltern hatten sich nicht getraut nach Mailand zu fahren, aber glücklicherweise hatte ich einen Onkel aus Reutte, der als Fernfahrer mit dem Fernlastzug von München nach Mailand fuhr und mich dorthin mitnahm. Nachdem er seine Arbeit beendet hatte, nahm er nur die Kabine des Lastwagens mit und fuhr mit mir ins Zentrum von Mailand. Doch bevor wir bei der Contessa ankamen, erhielt ich die Nachricht, dass sie mich für einen Tag in einem Hotel unterbringen müsse, da sie viele Gäste zu Hause hatte. Mein Onkel brachte mich mit seinem Lastwagen in das Hotel, was für uns beide amüsant war. So stand ich vor einem Luxushotel namens „Gallia“ oder „Grand Gallia“, wenn ich mich recht erinnere. Dort wurde ich wie ein König empfangen. Am nächsten Tag holte mich ein Chauffeur ab und fuhr uns zum Haus der Contessa. Ich begleitete sie auch in die Oper in ihre Ehrenloge. Sie zeigte mir die Stadt und fuhr mich schließlich zum „Cimitero Monumentale“ zu ihrer Familiengruft, mit einem riesigen Denkmal, welches wie eine Kapelle aussah. Ich war damals erst 14 Jahre alt und hatte schon etwas Angst. Sie zeigte mir die Grabstätten ihres Mannes, anderer Verwandter und ihren eigenen Platz, wenn sie sterben würde. Für mich war das eine riesige Erfahrung und sie war eine außergewöhnlich nette Person. Das war gewissermaßen ein Dankeschön, weil ich stets freundlich zu ihr war.
Hotel Minerva: Per Aufzug essen zu servieren, wäre viel zu einfach
In meiner Ausbildung im Hotel Minerva lernte ich schnell und viel. Ich war immer bereit, mir neues Wissen anzueignen und war recht fleißig, da ich es von zuhause gewohnt war. Bereits um 6 Uhr oder halb 7 Uhr morgens begann meine Arbeit. Ich reinigte alles Notwendige und alles musste „picobello“ sauber sein. Wenn ich Zeit hatte, stand ich vor dem Lift und half den Gästen beim Einsteigen, damit sie problemlos nach oben fahren konnten. In der Mittagspause oder abends arbeitete ich im Büro. Im Hotel Minerva war die Küche im Keller. Das Personal brachte das Essen mit den Tabletts ins Office und verteilte dies im Speisesaal. Da musste ich immer mithelfen, trotz meines jungen Alters und der schweren Tabletts. Der Lift war für den Oberkellner zu langsam, weil das Essen seiner Meinung nach, zu schnell kalt wurde. Bei den Hauptgerichten gab es die Glocke – die gibt es immer noch in gut situierten Häusern wie der Meraner Hof. Diese Glocke war wichtig, damit das Essen warm auf den Tisch des Gastes kam. Früher gab es den Plattenservice, nicht den Tellerservice, was ich als sehr schade empfinde. Die Reste des Essens vom Plattenservice, die die Gäste nicht verzehrten, konnten eventuell wieder für die Mitarbeiter verwendet werden. Der Tellerservice sieht eleganter und nobler aus. Die Teller werden schön in der Küche vorbereitet. Früher stand vor jedem Tisch ein „Gueridon“. Auf diesem kleinen, beweglichen Tisch stellte der Oberkellner oder der Chef de Rang bestimmte Speisen vor dem Gast her. Wenn es zum Beispiel Forelle oder Seezunge gab, wurde das üblicherweise vor dem Gast zubereitet. Auch flambierte Gerichte wurden vor dem Gast zubereitet.
Übrige Speisen wurden in Behältern gesammelt und abends vom Bauer abgeholt. Wegen der Hygiene Bestimmungen änderte sich das später. Dann kam den Tellerservice, was auch die Qualität vom Service der Kellner reduzierte. Früher gab es den Oberkellner, den Sommelier, den Chef de Rang, den Commis und den Lehrling – das war die Rangordnung im Saal! Praktisch waren immer zwei bis drei Mitarbeiter bei einem Tisch für einen Gast zuständig. Das änderte sich mit dem Tellerservice. Nach dieser Zeit kam ich ins Eurohotel in Meran. Ich bewarb mich dort für eine Stelle als Hilfsportier, weil der Weg so steil nach oben war.
Fortsetzung folgt
Eine Aktion des Touriseums im Rahmen der Sonderausstellung "We need you!"