Tourismus in Südtirol von 1961 bis 1983

Forschungsprojekt

20/02/2024 Touriseum on Tour
Touriseum

1960 zählte Südtirol 3,7 Millionen Nächtigungen, 1980 waren es schon 17 Millionen. Wie veränderte der Tourismus das Land? Brachte er neue Weltanschauungen? Rettete oder zerstörte er die bergbäuerliche Lebenswelt in Südtirol? Ein neues Forschungsprojekt des Touriseums will diese und viele andere Fragen zu diesem Thema beantworten.

Die 1960er- und 1970er-Jahre markierten für Südtirol in mehrfacher Hinsicht eine Epochenschwelle: Mit der Ausarbeitung und Annahme des Südtirol-Paketes wurde das Fundament für das Zweite Autonomiestatut des Jahres 1972 gelegt, zugleich avancierte in jenen Jahren der Tourismus zur Schrittmacher-Industrie, er ließ neue Arbeitsplätze entstehen, brachte Investitionen ins Land und bedingte eine neue Konsumkultur. Er schuf Integration und Separation, führte zu Brüchen, bot ungeahnte Chancen, prägte Mentalität und Identität. 

Ein neues Forschungsprojekt des Touriseums (Landesmuseum für Tourismus auf Schloss Trauttmansdorff in Meran) mit dem Titel „Tourismus in Südtirol von 1961 bis 1983“ will diese Jahre des sozialen Aufbruchs und die Metamorphose des Südtiroler Wirtschafts- und Kulturlebens kritisch beleuchten. Erforscht wird auch, wie die Begegnung zwischen dem deutsch-österreichischen Wirtschaftswunder und Italiens miracolo economico in der „Scharnierregion“ Südtirol zu einem retardierten Boom und einer Zunahme des Wohlstands für breite Bevölkerungsschichten führte. 

Ausgeführt wird das Projekt von Paul Rösch (Ethnologe und Tourismushistoriker) und Patrick Rina (Journalist und Kulturschaffender). Zur Seite stehen ihnen die Historiker:innen Hans Heiss, Hannes Obermair und Adina Guarnieri. Die Fachleute fragen sich u.a.: Hilft die Rückschau auf die Ursprünge des Tourismus in Südtirol und die „Inkubationszeit“ des Wohlstands, um die Tourismusakzeptanz zu reflektieren, ja gar zu festigen? Wie wurden die in Südtirol lebenden Menschen, was sie heute sind? Die Forscher:innen analysieren, wie und wo Akquise und Ausbildung der touristischen Mitarbeiter:innen erfolgten, ob der Zustrom von Urlaubsgästen neue Weltanschauungen ins Land brachte, ob der Tourismus die Lebensweisen, die kulturellen und moralischen Codes der Südtiroler:innen veränderte. Sie gehen zudem den Fragen nach, inwieweit der Massentourismus das „Erfinden“ von Traditionen bedingte (z.B. das Zelebrieren der Törggele-Kultur), ob der Tourismus nach 1961 die bergbäuerliche Kultur in Südtirol rettete oder zerstörte und wie und von wem die alpine Idylle touristisch inszeniert wurde. 

Die Forscher:innen werden dabei archivalische und bibliographische Quellen sowie Fotoalben, Filmaufzeichnungen und Tagebücher auswerten, aber auch Stimmen von Zeitzeug:innen einfangen. Damit Südtirols Tourismusentwicklung gleichsam „von unten“ erzählt werden kann, soll bei besagtem Projekt auf die Methodik der Oral History zurückgegriffen werden: Unterschiedliche Protagonist:innen aus dem Tourismussektor, aber auch Personen des öffentlichen Lebens (Politik, Kultur, Sport) sollen ihre Erlebnisse und Erfahrungen schildern. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes münden in ein Buch ein, das von Paul Rösch und Patrick Rina verfasst wird. Die Recherchen hierfür bilden die Grundlage für eine Sonderausstellung im Touriseum (April–November 2025). Diese wird von Evelyn Reso (Ethnologin und Mitarbeiterin des Touriseums) kuratiert. 

Bereits im Zeitfenster Februar–Juni 2024 veranstaltet das Touriseum in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Bibliotheken und Lesen Diskussionsabende mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen („Touriseum on tour“). Diese Abende werden in zehn Südtiroler Bibliotheken stattfinden: 

1. Kaltern 20. Februar 

2. Sterzing 22. Februar 

3. Schenna 13. März 

4. Schlanders 26. März 

5. Innichen 11. April 

6. Meran 12. April 

7. Bruneck 18. April 

8. Brixen 19. April 

9. Kastelruth 9. Mai 

10. Sand in Taufers 14. Mai 

Die Diskussionsabende werden von Patrick Rina moderiert, Paul Rösch zeigt Südtirols touristische Entwicklung 1961–1983 auf. Als Expert:innen nehmen zudem Hans Heiss, Hannes Obermair und Adina Guarnieri (1 Historiker:in pro Abend) an den Veranstaltungen teil. Am Podium diskutieren auch Zeitzeug:innen aus dem jeweiligen Bezirk mit. 

Ziel der Abende ist es, das in den Bibliotheken anwesende Publikum aktiv in die Diskussion zu involvieren. Dieses Format bietet einerseits die Möglichkeit, die Teilnehmer:innen nachgerade in den Maschinenraum eines laufenden Forschungsvorhabens („Wie entsteht ein Buch?“) blicken zu lassen. Anderseits dienen diese Abende der Kontaktaufnahme zwischen Forscher:innen und Zeitzeug:innen. Dies könnte im Idealfall die Durchführung von Interviews (zu einem späteren Zeitpunkt) oder die Akquise von materiellen und audiovisuellen Quellen zur Folge haben. 


Für Rückfragen: Paul Rösch, +39 366 61 25 939, roesch.meran@gmail.com