Wertschätzung im Serviceberuf Früher und Heute

Ein Beitrag zum Podcast "We need you" des Touriseum

15/05/2024 Podcast "We need you"
Touriseum

Von Andrea Bertagnoli Windstoßer

Interview mit Andrea Bertagnoli-Windstoßer, Restaurantmeisterin, diplomierte Ausbilderin und Hotel-Trainerin. Sie setzt sich dafür ein, dass neue Mitarbeitende im Hotel erfolgreich eingearbeitet werden und coacht Führungskräfte, damit Teams länger und gerne im Betrieb bleiben. 

Das Interview führte Ruth Engl vom Touriseum Schloss Trauttmansdorff 

Ruth: Liebe Andrea, welche Erinnerungen hast du an deinen Start in der Hotellerie und was lief dort nicht so optimal? 

Andrea: Ja, ich bin ja in einem Gastbetrieb aufgewachsen und da war man das einfach gewohnt, mitzuhelfen, fleißig zu sein, und es ging dann oft auch so, dass man in der Hauptsaison 18 Stunden am Tag gearbeitet hat, also es war schon anstrengend. 

Dann bin ich in eine Lehre in einem 5-Sterne-Hotel am Tegernsee gegangen. Dort waren die Arbeitszeiten nicht anders. Es war leider damals noch nicht so schön geregelt wie heute. Im Nachhinein betrachtet hätte man da viele Dinge viel feiner und angenehmer für die Mitarbeiter regeln können, damit sie mehr Motivation in dieser Arbeit verspüren. Und da hat sich sehr viel verändert, Gottseidank im Vergleich zu vor 20, 30 Jahren zu heute, und so die ganz typischen Punkte, die mir jetzt ganz spontan einfallen, wären zum Beispiel allein schon das Mitarbeiteressen. Wie wird das gestaltet? 

Heute gibt's da Gottseidank eine ganz andere Einstellung dazu: Die Mitarbeiter werden auch mit ins Boot geholt, können Wünsche äußern, die Küchenchefs sind da auch offen. 

In manchen Betrieben können die Mitarbeiter sogar à la carte bestellen. Das hängt natürlich immer davon ab, welche Art von Haus es ist. 

Damals eben, arbeitete ich in einem Hotel. Da wurde sogar unter Androhung von 200 D-Mark Strafe verwarnt, wenn man nicht ausschließlich dieses Personalessen gegessen hat, sondern vielleicht zwischendurch mal einen Happen Brot oder sonst irgendwo was genascht hat. 

Wenn man das Heute bedenkt: 30 Jahre später würde das gar nicht mehr gehen. Da würde mir kein einziger Mitarbeiter bleiben. 

Ruth: Andrea, wie ist das Heute geregelt? 

Andrea: Wir haben heute die Situation, dass sich der Arbeitsmarkt komplett verändert hat. Das heißt, in der Vergangenheit gaben die Arbeitgeber so ein bisschen den Takt an oder auch sehr stark den Takt an, und heute haben die Arbeitnehmer aufgrund der Demografie eine ganz andere Ausgangsposition. Sie können auch ihre Wünsche äußern, sie können Anforderungen und Forderungen stellen, und das war damals nicht. Und so sind Betriebe dann erfolgreich, heutzutage, wenn sie wissen wie geh ich idealerweise auf die Bedürfnisse meiner Mitarbeiter ein und wie schaffe ich ein Klima in dem man gerne arbeitet. Und das ist die Herausforderung der Hotels und auch der Gastronomiebetriebe – das gilt natürlich auch für andere Bereiche. Und das ist fundamental wichtig, dass die Betriebe, die sich dazu Gedanken machen, sich da auch unterstützen lassen, damit eben die Mitarbeiter dort gerne arbeiten. Und damit schaffe ich es auch, dass die Mitarbeiter dort auch länger bleiben und nicht nur für eine Saison. 

Ruth: Gab es noch eine Erfahrung, die sich Heute komplett verändert hat? 

 Andrea: Ja, ich denke, das Thema, das wir zuvor schon besprochen hatten, dass der Arbeitsmarkt sich gedreht hat, ist, dass die Betriebe mit ihren Mitarbeitern auch ganz anders kommunizieren, also es geht um Transparenz. 

Seien es die Stunden, die die Mitarbeiter machen. Die meisten Hotels haben heute auch wirklich eine Stechuhr, damit es keine Diskussionen gibt, wie lange jemand seine Schicht gehabt hat. Auch Transparenz im Sinne der Löhne. Also das war früher, so vor 30 oder 40 Jahren, noch so ein bisschen ein Sport der Hoteliers. Wie schaffe ich es, so viel Arbeit aus dem Mitarbeiter herauszuholen mit so wenig finanziellem Aufwand, um das jetzt mal ganz ehrlich zu sagen. Da hat sich extrem was verändert, Gottseidank, denn wir können nur dann begeisterte Mitarbeiter in unserer Branche halten, wenn die sich fair behandelt fühlen. Und das merkt man. Betriebe, die das sehr engagiert angehen, haben ihr Stammteam, die bleiben gerne, die empfehlen ihren Betrieb auch gern weiter und die kommen auch gerne wieder zurück, wenn sie mal woanders hin geschnuppert haben. So ist es heute, und früher ist das aufgrund der Demografie darauf überhaupt nicht geachtet worden. Wer nicht so tut wie der Hotelier, das will, der durfte gehen, weil vor der Tür standen schon 10–20 andere Bewerber, die froh waren, eine Arbeit zu bekommen. Und das hat sich extrem gewandelt, Gottseidank. Ich denke, im 21. Jahrhundert hat es jeder Arbeitnehmer, der eine gute Leistung abliefert, auch verdient, fair bezahlt zu werden. 

Ruth: Welche Methoden gibt es, wie kann man Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen begeistern, sie motivieren? 

Andrea: Ja, das Thema Motivation ist ein sehr wichtiger Punkt. Da muss man schon auch dazu sagen, um motivieren zu können, von außen also einen Chef oder eine Chefin, einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, da muss schon auch ein kleines Feuer in diesen Menschen drinstecken. Sonst, allein nur von außen Motivation hinbringen, durch Benefits, durch Geld etc., das wird auf Dauer nicht gut gehen. Dennoch gibt es natürlich Möglichkeiten. Wenn ich Mitarbeiter habe, die für unsere Branche brennen, die eine Freude empfinden, dann kann ich das natürlich auch nützen – für meinen Zusatzverkauf, für die Motivation wiederum der Gäste. Wie schafft man das? Indem ich auf die Bedürfnisse meiner Mitarbeiter eingehe. Das heißt, jetzt machen wir kein Wunschkonzert, sondern oft sind es Kleinigkeiten, die den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin motivieren, indem sie wissen: Ich kann mein Kind ohne Probleme in die Kita bringen und es sagt niemand was, wenn ich eine Viertelstunde später mit meiner Schicht beginne. Oder eben, das Thema hatten wir schon: Das Mitarbeiteressen. Das sind Grundbedürfnisse, und wenn es an denen schon scheitert, wie soll ein Mensch dann motiviert sein, zu arbeiten? Das Thema Platz, auch beim Arbeiten, funktionierende Geräte, dass alles ordentlich gewartet wird. Man geht davon aus, dass alles selbstverständlich ist und dass das schon wäre. Und oft ist es den Chefitäten nicht bewusst, welche Kleinigkeiten es sind, die eine Motivation auch beeinträchtigen können. Und ich sag immer: Wichtig ist es als Teamleiter oder als Chef bzw. Chefin, dass man das Herz öffnet, die Ohren öffnet und auch die Augen öffnet. Und wenn ich das mache, kriege ich auch mit, was für den einen oder die anderen Dinge wichtig sind, um gut arbeiten zu können und um die Arbeit mit dem Privatleben gut vereinbaren zu können, denn das ist ja auch etwas, von dem jetzt alle sprechen: die berühmte Work-Life-Balance. Hört sich so leicht dahingesagt an, ist aber, finde ich, sehr sehr wichtig, gerade in Anbetracht unseres Arbeitsmarktes. Hier in Südtirol sind viele Häuser, jeder braucht Mitarbeiter, und ich krieg halt dann gute Leute, wenn ich mich auch um deren Bedürfnisse kümmere. 

Ruth: Wie war das mit der Arbeitszeit und den freien Tagen? An was kannst du dich erinnern? 

Andrea: «Ja, ich habe da ganz prägnant eine Situation in Erinnerung.» Da war ich damals während meiner Lehrzeit in der Küche. Ich habe annonciert, also es war eine Großküche. Wir hatten verschiedenste Restaurants, und über Mikrofon wurde die Küche angewiesen, was zu kochen ist. Ich habe das sehr sehr gerne gemacht. Dieser Küchendienst war halt auch so, klassischer Teildienst, das heißt, man geht früh in die Arbeit, bis das Mittagsgeschäft vorüber ist, und wenn's gut geht, hatte man nachmittags 2 – 2,5 Stunden Zimmerstunde, und dann ging es am Abend wieder weiter. Und wenn man Pech hatte, dann wurden in diesen Nachmittagsstunden noch Zusatzaufträge gegeben, z. B. Lüftung putzen. Das war dann die Arbeit der Lehrlinge, der Küchenlehrlinge und der Hotelfachfrau Lehrlinge. Ich habe in Deutschland meine Lehre gemacht, das ist die Hotelfachfrau-Lehre gewesen. Und so waren wir dann voll beschäftigt, also es war ein guter 18-Stunden-Tag, kann man sagen, und freie Tage gab es damals zu meiner Zeit in Deutschland schon zwei. Nur war man in dem Haus, in dem ich gelernt habe, von der Personalabteilung nicht im Stande, diese zwei freien Tage geregelt zu geben, aber nicht, weil die Mitarbeiter nicht da waren, also wir waren fast 20 Lehrmädchen, sondern weil sie kein Interesse hatten. Da sind wir wieder beim Thema Bedürfnisse, darauf einzugehen, dass die Lehrmädchen einen ordentlichen Dienstplan bekommen. Denn man hat ja früher schon hart gebuckelt und die Jungen sollen das auch genau so aushalten müssen. Und so kam es, dass man dann drei Wochen am Stück, vier Wochen am Stück ohne einen einzigen freien Tag arbeiten musste. Und die freien Tage wurden schon gutgeschrieben, aber es bringt ja nichts, wenn man sich nicht erholen kann, und damit steigt auch die Gefahr, dass sich die Menschen in der Küche verletzten. Man arbeitet mit Messern etc. Ja, und Gottseidank sind die Zeiten heute nicht mehr so, und das ist so eine ganz krasse Erinnerung, die ich dahabe. Also ich habe dann einmal, kann ich mich erinnern, fast einen Nervenzusammenbruch bekommen, weil einfach die Energie nicht mehr da war. Meine Stärkung war dann der Küchenchef, denn der war überhaupt nicht einverstanden, wie die Personalleitung die Dienstpläne der Hotelfachfrauen machte, und dann hat mir die Küche einen freien Tag geschenkt. Ich habe zwar den ganzen Tag nur geschlafen, aber es war auch eine Anerkennung und man hat mir gezeigt, dass man auch Verständnis für eben eigentliche Banalitäten hat: «Ja, das sind Grundbedürfnisse.» Ich stelle fest, dass auch heute noch in Betrieben die Mitarbeiter teilweise sehr viele Wochen am Stück arbeiten, teilweise auch weil die Mitarbeiter sich das auch selber so wünschen. Also wir haben ja Saisonkräfte, die aus Süditalien oder sonst woher kommen, die sagen: «Nee, ich brauche nicht frei, ich will da durcharbeiten, ich will ja hier Geld verdienen.» Ich finde, da ist jeder Arbeitgeber auch in der Pflicht, diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu schützen, indem er ganz klar sagt: Irgendwo braucht jeder Mensch seine Ruhephase. Es geht auch um Arbeitssicherheit, eben wenn die Menschen nicht ausgeruht sind, dann machen sie Fehler, dann passieren Unfälle, und ich denke, das kann man sich heute nicht mehr leisten, wenn ich sowieso schon knapp besetzt bin mit Mitarbeitern. 

Ruth: Liebe Andrea, herzlichen Dank für das interessante und aufschlussreiche Interview.


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Eine Aktion des Touriseums im Rahmen der Sonderausstellung "We need you!"